Geschichte

Vom Bürgerkomitee zum Kirschfestverein e.V.
(ab 1885 bis heute)

Das Naumburger Kirschfest hat in den Jahrhunderten seines Bestehens einige Höhen und Tiefen erfahren müssen. Nicht selten war das Fest in Frage gestellt worden, meist aus wirtschaftlichen Gründen oder als Folge kriegerischer Ereignisse, bisweilen aber auch aus persönlichen Gründen, wenn um Inhalt und Form des Festes gestritten wurde. Doch es hat immer wieder Freunde  gefunden, die sich für den Fortbestandes des Festes eingesetzt und um seine Existenz leidendschaftlich gekämpft haben. Auch der Stadtrat sah sich trotz oftmaliger „Ungelegenheiten”, die ihm die Feierlichkeiten bereiteten, dem Fest gegenüber stets verpflichtet und bemühte sich nach Kräften um seine Beibehaltung. Als beispielsweise das Fest Ende des 18. Jahrhunderts einzugehen drohte, bekräftigte er seine Überzeugung,  „daß es nicht ratsam sein wollte, dieses von uralten Zeiten her bei hiesiger Stadt eingeführte und gehaltene sogenannte Kirschfest derer Schüler gänzlich einzustellen”.

Karl Schöppe

Karl Schöppe

Im 19. Jahrhundert war das Kirschfest aus dem öffentlichen und kulturellen Leben der Stadt schon nicht mehr fortzudenken. Die Hinwendung zu den Werten der Vergangenheit, den geschichtlichen Überlieferungen und traditionellen Volksfesten, die im 19. Jahrhundert allenthalben zu beobachten ist, hatte weite Teile der Naumburger Bevölkerung erfaßt und sie zur aktiven Mitwirkung an der Gestaltung des Kirschfestes veranlaßt. An ihrer Spitze stand der Naumburger Redakteur und Heimatforscher Karl Schöppe (1851- 1915), der sich mit seinen publizistischen Arbeiten und heimathistorischen Forschungen um die Geschichte seiner Stadt verdient gemacht hatte. Schon 1885 rief er alle Freunde des Kirschfestes zusammen, um auf seinen  drohenden Niedergang  aufmerksam zu machen. In der Folge bildete sich ein „Komitee zur Hebung des Kirschfestes”, das sich die Neubelebung des Kirschfestes zur Aufgabe gemacht hatte, nicht nur, um die traditionellen Werte des Festes zu pflegen, sondern auch wegen seiner Bedeutung „für die Geschäftswelt der Stadt”. Da es aber wegen der Teilnahme der Schulen am Kirschfest und anderweitiger Differenzen zu keiner Einigung mit der Stadtverwaltung kam, mußte schon am 18. Juni 1885 erklärt werden, daß das Komitee „am Ende seiner Tätigkeit stehe”. Den Bürger ihrer Stadt gaben die Komiteemitgliedern aber noch mit auf den Weg: „Jeder tue an seinem Teile, wie es seine Verhältnisse gestatten, um unser schönes, eigenartiges, für unsere ganze Geschäftswelt so bedeutungsvolles Kirschfest wieder zu früherem Glanze zurückzuführen oder doch vor weiterem Verfalle zu schützen”. Damit löste sich das Komitee nach kurzer Zeit seines Bestehens endgültig auf.

Die sehr kurzlebige Existenz des „Komitees”, der nur wenige Bürger angehörten, hatte aber das Interesse der Bürgerschaft am Fortbestand des Kirschfestes gestärkt und zu weiteren Bemühungen geführt. Hinzu kam der von dem Architekten und Landmesser Paul Frohwein (1846-1917) ins Leben gerufene „Kirschfestfonds”, um mit seinen Mitteln das Kirschfest „besser auszugestalten”. Es dauerte aber noch ganze zwei Jahre, ehe sich ein neues „Komitee” zusammenfand, das sich am 20. Juli 1887 gründete. Die Versammlung war von der Naumburger Lehrerschaft unter Vorsitz des Rektors Dr. de Fries einberufen worden, um, wie es heißt, „Mißstände beim Festauszuge und Schießen zu beseitigen”. Die weitere Ausgestaltung überließ die Versammlung einem Bürgerkomitee von acht Personen, denen die Sorge für die Hebung des Kirschfestes anvertraut wurde. Im  Juni 1906 gab sich der Zusammenschluß eine Satzung, in der es seine Ziele definierte, an der weiteren Verbesserung des Kirschfestes beizutragen. Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Neben der Stiftung von Klassenfahnen für die Schulen und Auszeichnungen für Trommler und Pfeifer wurden 1908 und 1909 erstmals Kirschfestzeitungen herausgegeben und 1909 ein Kirschfestbuch  veröffentlicht.

Titelseite Kirschfestbuch von 1924

Auch Musikinstrumente, Papierfackeln und Laternen stellte das Komitee den Schulen zur Verfügung.  Das „Komitee zur Hebung des Kirschfestes”, das gelegentlich auch als „Verein”  auftrat, ist ununterbrochen bis zum 1. Weltkriege (1914-18) tätig gewesen. Wenige Wochen vor Ausbruch des Krieges erstrahlte das Fest noch einmal im alten Glanze, um dann erst zehn Jahre später, 1924, wieder gefeiert zu werden. Dem waren lange Verhandlungen voraus gegangen, um das Kirschfest von neuem zum Erstehen zu bringen. Das war ein Verdienst des „Komitees”, dem der damalige Oberbürgermeister Arthur Dietrich (1913-1932) zugleich weitreichende Befugnisse übertrug, die zuvor dem Magistrat alleine zustanden. Und noch einen weiteren Erfolg hatten die Freunde des Kirschfestes erzielt. Erstmals konnte der „Kirschfest-Ausschuß” ein eigenes Festbuch (in der Naumburger Druckerei Heinrich Sieling, heute Saale-Druck Naumburg) herausgeben, das in 5000 Exemplaren unentgeltlich an die Naumburger Schulkinder verteilt wurde. Die Mittel dazu erlangten die Mitglieder durch Geschäftsanzeigen, die dem Buche beigegeben waren.

Der 2. Weltkrieg (1939-45) unterbrach nicht nur die rührige Arbeit des Kirschfestkomitees, sondern bereitete auch den Kirschfestfeiern ein bitteres Ende. 15 Jahre lang sollte es nicht mehr gefeiert werden. Erst 1954 konnte nach langer Vorbereitung des neu organisierten Kirschfestkomitees mit einem Fest, dem ersten Kirschfest nach dem 2. Weltkrieg, an die große Tradition des beliebten Heimatfestes angeschlossen werden. Damit verbunden war die Veröffentlichung einer kleinen Festschrift, als deren Herausgeber der „Kirschfest-Ausschuß” auftrat. Die 28 Seiten umfassende Schrift informierte über die Geschichte der Kirschfesttage, die Bilder des Festumzuges, der erstmals in dieser Form zu sehen war, und über das Programm des mehrere Tage währenden Festes. Auch in den folgenden Jahren, 1955 und 1956,  gelang dem Kirschfest-Ausschuß die Herausgabe einer eigenen Festschrift zum Kirschfest, das zu dieser Zeit schon aus den Händen  der Bürger in die Verantwortung der staatlichen Verwaltung des Rates der Stadt Naumburg übergegangen war, die auf die Gestaltung des Festzuges sichtbaren Einfluß nahm. In der Festschrift von 1963 wird der Kirschfestausschuß schon nicht mehr genannt; als alleiniger Herausgeber erscheint nunmehr  der Rat der Stadt Naumburg. Der Kirschfestausschuß als freiwilliger Zusammenschluß von Bürgerinnen und Bürger der Stadt Naumburg, die sich dem Anliegen des Kirschfestes verpflichtet fühlten und es nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten zu unterstützen bemüht waren, sah sich seiner Aufgabenstellung beraubt und löste sich schließlich ganz auf.

Erst die politischen Veränderungen im Jahre 1989/90 erlaubten wieder den Zusammenschluß all jener, denen die Pflege des Kirschfestes und seiner traditionellen Werte als Heimatfest besonders eng am Herzen lagen. Im Dezember 1990 fand schließlich die Gründungsversammlung des Kirschfestvereins statt, der sich damals noch – in enger Anlehnung an den früheren Zusammenschluß – den Namen „Kirschfestausschuß Naumburg e. V.” gab. In seiner ersten Satzung, die mit der Wahl des Vorstandes noch am 10. Dezember bestätigt wurde, definierte der Verein Zweck und Ziel seiner Vereinsarbeit.

„Der Verein hat sich zur Aufgabe gestellt, das Kirschfest in jeder ihm geeigneten Weise zu fördern und immer mehr zu einem über die Grenzen der Stadt hinaus bekannten Heimatfeste auszubauen. Der Verein richtet sein Bestreben auf die Pflege und Erhaltung, Förderung und Wiederbelebung traditioneller Werte und Überlieferungen des Kirschfestes, ihrer Erforschung und Popularisierung.”

Aus der Satzung des Kirschfestvereins

Im Verlaufe seines Bestehens ist der Verein dieser seiner Zielsetzung treu geblieben. Er hat dabei Höhen und Tiefen erfahren müssen, die oftmals auch deutlich Grenzen seiner Möglichkeiten aufgezeigt haben. Zunüchst ging es um die eigene Positionsbestimmung, um Kontinuität in der Vereinsarbeit und um Formen der Traditionsbewahrung als Kriterium der Identitätsfindung, die das Kirschfest als traditionelles Heimatfest erkennbar machen. Die Sichtung der Entwicklungslinien zeigte sich besonders kompliziert im Spannungsfeld zwischen der Bewahrung traditioneller Werte des jahrhundertealten Kirschfestes als populäres Volksfestes und den immer stärker werdenden kommerziellen Ansprüchen, die nach neuen Formen und Inhalten bei teilweiser Aufgabe traditioneller Werte des Kirschfestgedankens drängten. Hinzu kamen wirtschaftliche Zwänge, mit denen das Kirschfest schon immer zu kümpfen hatten. Sie haben sich bisweilen deutlich auf die Qualität des Festes und seine Umsetzung ausgewirkt. Die Diskussionen zu diesen Themen, zu Inhalt und Form, zu Identität und Identitütsfindung, werden auch noch in Zukunft die  Arbeit des Vereins beeinflussen, weil sie Bestandteil der Traditions- und Wertewahrung sind und bleiben werden. Der Verein wird sich dabei immer von seiner eigenen Aufgaben- und Zielstellung leiten lassen müssen, die er seiner Satzung deutlich formuliert hat. Ihre Umsetzung ist  Hauptanliegen  der Vereinsarbeit, damit der Fortbestand  des beliebten Naumburger Kirschfestes und seine unverwechselbare Identität als Heimatfest mit traditionellen Werten und Formen weiterhin gesichert werden kann.

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